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Wem wurde Schaden zugefügt?

20.05.2010

Gastkommentar von Herrn Jens Ferner – der Beitrag gibt die Meinung des Autors wider, die sich mit unserer Meinung nicht decken muss.

Diese Webseite wurde 2007 von Herrn Jens Ferner gegründet. Seit Dezember 2009 wird das Blog von Herrn Rechtsanwalt Dr. Sebastian Kraska weitergeführt.

“Erstmals lese ich, in einem Stern.de-Interview, eine direkte Reaktion auf die von mir gestellte Strafanzeige “gegen Google”, durch den Google-Chef:

Müssen Sie damit rechnen, wegen der unerlaubten Datenaufzeichnung in Deutschland angeklagt zu werden?

Schmidt: Ich hoffe nicht – kein Schaden, kein Foul. Wem wurde Schaden zugefügt? Nennen Sie mir diese Person!

Dieses Statement lehne ich ab. Ich muss sogar sagen: Ich bin schockiert.

Die Frage eines evt. strafrechtlichen Verhaltens lapidar mit “Wem wurde Schaden zugefügt” abzutun, wirft bei mir erhebliche Fragen auf, wie der zitierte “Google-Chef” zum Strafrecht insgesamt steht.

Es geht beim Vorwurf strafrechtlichen Verhaltens keinesfalls darum, ob ein Schaden verursacht wurde. Andernfalls wäre eine Versuchsstrafbarkeit gar nicht denkbar: Wer wird denn beim fehlgeschlagenen (und vielleicht nicht einmal bemerkten) Attentat geschädigt? Will man mit Eric Schmidt allen ernstes eine Strafbarkeit nur noch bei einem Schaden annehmen, man würde jegliche Versuchsstrafbarkeit und jegliches Handlungsdelikt (das gerade keinen Erfolg voraussetzt) aus dem Strafgesetzbuch streichen.
Dabei birgt der konzentrierte Blick auf den “individuellen Schaden” ein enormes Risiko: Nämlich dass man vergisst, dass unsere Gesellschaft insgesamt ein Bedürfnis nach Sicherheit hat. Zumindest nach der Sicherheit, dass Rechtsverstöße geahndet werden. Ob dabei vorliegend wirklich ein Rechtsbruch vorliegt, hat die Staatsanwaltschaft einzuschätzen und ein Gericht zu urteilen. Nur mit dem Blick auf den personalen Schaden aber lässt man das außen vor, was das Recht auch schützt: Die Gesellschaft samt ihrem Vertrauen in die Rechtsordnung insgesamt.

Wir leben in einer zunehmend digitalisierten Welt – wobei Unternehmen und Privatpersonen in gleichem Maße wenig Platz für persönliche Rückzugsräume lassen. Wir bewerten uns gegenseitig bei ebay, benoten unsere Mitmenschen bei Spickmich & Co., nutzen umfassende Rabattsysteme, lassen uns fotografieren und pflegen unsere Profile in sozialen Netzwerken. Das ist nicht zu verurteilen, das ist nichts, wovor man reflexartig Angst haben muss – solange diejenigen, die das machen, freiwillig agieren und im vollen Bewusstsein handeln, was sie tun. Der Datenschützer spricht hier von Freiwilligkeit und Informiertheit.

Bei Google gibt es kein Bewusstsein der Betroffenen, denn Google geht den letzten Schritt, schafft “die letzte Meile” und holt die Daten direkt selber zu Hause ab. Man muss nichts mehr tun, braucht nicht einmal Internet, und ist mit der Ansicht seines Hauses, seines Vorgartens, seiner WLAN-Kennung bei Google zumindest schon mal erfasst. Ganz am Anfang war es dabei nicht einmal möglich, brauchbar zu widersprechen – es war schon ein gefühlter Kraftakt, bis zumindest die Möglichkeit des Widerspruchs geschaffen wurde. Bestenfalls unschön ist es, dass man nur Häppchenweise erfährt, was überhaupt gesammelt wird – und so gut wie gar nicht, wozu.

Vor diesem Hintergrund fällt es mir dann auch nicht schwer, die Frage zu beantworten, wer denn einen Schaden davon getragen hat: Es ist einmal Google selbst. Diese Salami-Politik, mit der Scheibchenweise immer neue Details bekannt werden, ist eigentlich nur vom datenwütigen Staat bekannt. Doch ich sehe auch, dass durch dieses Verhalten letztlich das gesellschaftliche Klima insgesamt vergiftet werden kann. Geschädigt wird hierdurch nicht nur das Vertrauen in Google, es wird auch das Vertrauen in die Kommunikation in den eigenen vier Wänden in Mitleidenschaft gezogen. Dieser Vertrauensschutz ist übrigens – und hier schließt sich der Kreis – einer der Gründe, warum das Abfangen von Daten entsprechend der §§202a-202c StGB, §89 TKG unter Strafe gestellt ist. Unabhängig von der Frage, ob ein “messbarer Schaden” eingetreten ist. Denn Vertrauen kann man nicht messen: Man hat es oder nicht.”

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2 Kommentare zu diesem Beitrag:

fiat iustitia

Dieser ganzen Affäre täte es gut, wenn man sie etwas nüchterner betrachtete. Die Aussage von Herrn Schmidt ist nicht skandalös, und sie verrät auch keine rechtsfeindliche Gesinnung, wie Herr Ferner hier gerne insinuieren möchte.

Eric Schmidt ist Amerikaner, keine Deutscher, und es ist keine Schande für ihn, wenn er das deutsche Strafrecht nicht kennt (insbesondere wenn es, wie hier, um Normen geht, die selbst viele deutsche Volljuristen kaum jemals bewusst zur Kenntnis nehmen, wenn sie nicht gerade Straf-, IT- oder TK-Rechtler sind).

Jeder dessen Horizont jenseits des Tellerrandes liegt, hat selbst schon mal erlebt, dass er von irgendwelchen ausländischen Gesetzen gehört hat, die ihm unsinnig oder nicht nachvollziehbar erscheinen - "wie kann denn so etwas Normales verboten sein?" - und genau so sieht es auch Schmidt. Er äußert sich auch nicht abschließend zu irgendwelchen Rechtsfragen, sondern "hofft" (!) auf der Grundlage seines amerikanischen Rechtsverständnisses, dass ihm in dieser Sache nichts passieren kann.

Im Übrigen ist diese Hoffnung nicht unbegründet. Selbst wenn es wirklich zu strafbaren Handlungen gekommen ist (Vorsatz!), müsste man ihm schon nachweisen, dass er diese angeordnet oder gefördert hat...

Jens Ferner

"....auf der Grundlage seines amerikanischen Rechtsverständnisses..."

Natürlich ist der Hintergrund von Eric Schmidt zu betrachte - aber wer aus einem Rechtsraum stammt, in dem die strict liability im Strafrecht gilt, der dürfte dieses Argument erst recht nicht anführen. Abgesehen davon, dass es auch in den USA eine Versuchsstrafbarkeit gibt, also eine Strafbarkeit für verhalten ohne Schaden.

Bei uns in DE ist und bleibt der Vorsatz der Knackpunkt. Auf Grund der Hintergründe (Hauseigener Programmierer entwickelt Software, Software wird in eigenen Autos eingesetzt, Hauseigener Fahrer fährt damit) werden die Ausführungen der StA zur Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und dolus eventualis (der beim §202b StGB ausreicht) sehr interessant sein.

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